Die Wahrnehmung des Göttlichen - Das neue Gottes- und Menschenbild

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Die Wahrnehmung des Göttlichen   von Hartmut Neumann

Das Göttliche verbirgt sich dem Verstandesdenken, weil der Verstand nur nach "entweder - oder" unterscheidet. So kann der Verstand es nicht erfassen. Das Göttliche ist aber "sowohl als auch" und nicht "entweder-oder". Das Göttliche, vielmehr der Gottesbegriff, ist ein Synonym oder eine Chiffre; eine Chiffre steht für etwas, was dahinter steht. Und was steht dahinter, hinter der Chiffre "Gott"?

Dieser Begriff schließt beides ein: die göttliche Lebenskraft, die Kraft des Lebens, also die gesamte Natur einerseits und die Geisteskraft andererseits. So ist in dem Begriff oder in der Chiffre "Gott" beides enthalten: die (als männlich angesehene) geistige Schöpfungskraft und die (als eher weiblich angesehene) Hervorbringungskraft, wie sie sich im Wachsen, im Erblühen und z.B. im Gebären, also im Urmütterlichen darbietet. Darum gibt es in vielen Naturreligionen, übrigens auch in Indien die Gottheiten für den mütterlich-schöpferischen und ebenso für den männlich-geistigen Aspekt des Göttlichen. Indem wir beides mit dem Begriff/der Chiffre "Gott" verbinden, sollte dabei das Gleichgewicht bzw. die Gleichwertigkeit von weiblich und männlich hervorgehoben werden, denn beide bedingen einander,  keines ist ohne das Andere.

Aus Jahrhunderte alten Kirchendogmen und der männlichen Dominanz bei den Kirchenämtern könnte, ja müßte der Eindruck entstehen, der Begriff "Gott" stände für eine männliche Gottesgegenwart, denn auch Jesus Christus spricht vom "Vater". Auch so wie Jesus seine besonders innige Beziehung zu Gott-Geist beschreibt, auch daraus ließe sich ableiten, das Göttliche wäre für Jesus eine Art "Vater".  Auch die Anrede im Vaterunser deutet darauf hin. Das ist ja nicht ganz verkehrt, aber es ist nur die halbe Wahrheit.

Der Gottesgeist und der Gottesbegriff, eingebettet in die Evolution der Menschheit, wie im einzelnen Individuum, erscheint uns als geistige Führungs- und Schöpferkraft, als das, was auf den männlich-geistigen Bereich hindeutet. Dies muß aber nicht automatisch so verstanden werden, hinter dem Gottesgeist stände eine männliche Wesenheit oder eine wie auch immer mögliche Personalität, womöglich noch eine männliche. Denn Geist ist Geist und keine männliche Person. Das schließt nicht aus, dass wir den Geist Jesu oder den höchstmöglich ethischen Geist der menschlichen Evolution anerkennen, aber nicht als Person, sondern als Geist!

Wir Menschen als geistige Wesen haben ja Anteil am evolutionären Weltengeist und unsere allerinnigste Inwendigkeit ist ja Geist. Ebenso innig wie die eigene geistige Führung erlebt der Mystiker/ die Mystikerin die schöpferische Lebenskraft ebenso als göttliche Lebenskraft. So gesehen ist es eigentlich jedem Menschen möglich, diese geistig-göttliche Lebenskraft als Wesensteil Gottes in sich selbst zu erkennen. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, diese göttliche Lebenskraft als männliche oder väterliche Gotteskraft zu bezeichnen. Die Lebenskraft, die wir in unserem eigenen Körper wie in aller Natur und in allem was lebt, wahrnehmen können, diese Lebenskraft würden wir eher als weiblich denn als männlich bezeichnen. So ist nun im Göttlichen beides miteinander vereint, das weibliche und das männliche Prinzip. Der göttliche Geist, wie auch die göttliche Lebenskraft sind gemeinsam das, was wir uns unter der Chiffre "Gott" vorstellen können.

Textsammlung von Hartmut Neumann
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